Wo bleiben „Sturm und Drang“ der Jüngeren?
Blickt man einmal zurück in das vergangene Jahrhundert und
konzentriert sich dabei vor allem auf die Jugend, dann fallen einem gleich
mehrere Jugendrevolten ein. Beginnen wir mit dem „Ersten Freideutschen
Jugendtag“ 1913: Am Wochenende 11./12. Oktober 1913 kamen 2 bis 3 000 Jugendliche auf dem „Hohen
Meißen“ östlich von Kassel zusammen, um das „Fest der Jugend“ abzuhalten. Es
war das erste große Treffen „einer sich emanzipierenden Jugend in Deutschland“.
Dabei waren ganz unterschiedliche Organisationen zusammengekommen: Von den Wandervögeln
über die Lebensreformer und reformierten Schüler- und Studentenverbindungen bis
hin zu den Schulreformern und einer ganzen Reihe weiterer reformbewegter
Gruppen. Volker Weiß: „Es galt Abstand zu halten von den Spießbürgern und
Korporierten. Es ging um einen gesellschaftskritischen Protest gegen den
Hurrapatriotismus zum 100jährigen Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig“.
In den 60er Jahren ging es zu Beginn der Studentenrevolten
„gegen den Muff unter den Talaren“ und gegen das Verschweigen der deutschen
nationalsozialistischen Vergangenheit. Hinzu kam die „Flower-Power-Bewegung“
mit dem Streben nach mehr Freiheit auf allen gesellschaftlich relevanten Gebieten,
auch hinsichtlich des Zusammenlebens.
In den 70ern entstand mit den GRÜNEN eine damals vor allem
von Jüngeren getragene neue Partei, die zu Beginn durchaus neue Themen und
Schwung in die träge gewordene deutsche Politik brachte.
Schaut man sich zum Jahreswechsel 2013/14 um, so erhebt
nicht nur Torsten Krauel in der WELT die Frage: „Wo ist er geblieben, der
jugendliche Sturm und Drang“?
Es scheint ihn nicht mehr zu geben. Eine aufbegehrende, womöglich
umstürzlerische Jugend - nichts zu vernehmen, nichts zu sehen davon. „Occupy“?
Verschwunden. Piratenpartei? Aus und vorbei. Aufbegehrende Junge Union? Nach
kurzer Wortmeldung im Zusammenhang mit zu vielen Vorteile für Alte zulasten der
jüngeren Generation im aktuellen Koalitionsvertrag eingeknickt, gekuscht und
einstimmig zugestimmt.
Von den Jugendorganisationen anderer Parteien ganz zu
schweigen.
Die Berliner Großkoalitionäre machen konsequenterweise
Politik für die Älteren. Von den Jungen haben sie nichts zu fürchten. Die
Älteren können zufrieden sein: Rentenerhöhungen sind ein zentrales Thema der
Regierenden. Bezahlen müssen es die Jungen.
Torsten Krauel: „Lebensalter und Lebenshaltung kehren sich
um: Rebellisch werden - das ist heute was für Alte. Die Jugend konzentriert
sich von der Schule an erst einmal auf harte Arbeit“. Ist ja nicht verkehrt und
an und für sich auch nicht schlimm. Ob es die Gesellschaft weiterbringt, wenn
„Sturm und Drang“ der Jugend fehlen, ist eine andere Frage. Ob es den Jungen
gut tut, wenn überwiegend Ältere auf die Straße gehen und Zukunftsprojekte
blockieren, ist aber dann schon ernsthafter zu hinterfragen.
Die ehemaligen 68er, heute längst im „Rentenalter“, sind die
Rebellen und „Ausgeschlafenen“, wenn es gegen zu viel Überwachung und
Großprojekte jeder Art geht. „Die Rolling Stones - Mick Jagger über 70, Keith
Richards gerade 70 geworden - werden auch mit 80 noch aufspielen, als typische
Lebenshaltung jenseits der 50 - Jeans im Alter, Reisen im Alter, Heiraten im
Alter, Sex im Alter. Die frühere Furcht vor einer Greisenzeit ist geschwunden.
Graues Haar und graue Bärte - da fängt das freie Leben an. Jugendgreise
vergaben Jugendpreise. Die Jungen schreiben währenddessen Lebensläufe oder
Geschäftspläne“.
Dabei wäre es doch wichtig, dass sich die Jungen engagiert
zu Wort melden: Die über 60-Jährigen haben bald die Mehrheit bei den
Wahlberechtigten. Als Folge davon werden sie mit ihren Anliegen, ob berechtigt
oder nicht, als wahlentscheidende Gruppe bei den Regierenden noch mehr Gehör
finden; nicht „automatisch“ zum Nachteil, mit Sicherheit aber kaum zum Vorteil
der Jungen.
Klar, die Jungen sind heute gefordert wie wahrscheinlich nie
zuvor, die Anforderungen im Berufsleben - wenn sie denn in diesem überhaupt
über den oftmals viel zu langen und deshalb unfairen und ausnützenden Praktikantenstatus
hinaus hineinkommen - sind gestiegen, die Familie und der Beruf wollen „unter
einen Hut gebracht“ werden, sind Kleinkinder da, beanspruchen diese heute ein
ungeheures Maß mehr an Zuspruch und Zeit als die „Jungeltern“ früher je selbst
erfahren durften - und dennoch: Etwas weniger selbstgerechtes und
besserwisserisches „Rebellieren“ der Älteren und dafür etwas mehr konstruktiven
„Sturm und Drang“ der Jüngeren - damit wir alle nicht zu träge werden und nicht
weiterhin nahezu tatenlos zusehen, wie sich junge Volkswirtschaften auf den Weg
machen, uns zu überholen - könnte unserer Gesellschaft durchaus gut tun!
© Dr. Walter Döring
© Dr. Walter Döring
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