Auf „Frühsommer-Hoch“ folgt in der Wirtschaft „trübe Herbststimmung“.
Mag das Wetter durchaus Anflüge eines „goldenen Oktobers“
haben, und mögen auch die letzten Konjunkturdaten
vom Sommer ein „Hoch“ verzeichnet haben – die Stimmung in der Wirtschaft hat
sich gedreht und sieht nun eher „herbstlich-trübe“ aus: Nachdem der Ifo-Index
im September zum fünften Mal in Folge gefallen ist, ist die Stimmung in der
deutschen Wirtschaft so schlecht wie lange nicht. Dabei ist es gerade einmal
ein Quartal her, dass im Juli die deutsche Ausfuhrwirtschaft erstmals die
100-Milliarden-Euro-Marke beim Umsatz geknackt hatte. Nach Einschätzung vieler
Experten und Chefs von mittelständischen und großen Unternehmen war dies jedoch
nur „ein Zwischenhoch von kurzer Dauer“. Die weit verbreitete Meinung ist: Der
deutschen Wirtschaft steht angesichts zahlreicher internationaler Krisenherde
ein „trüber Herbst“ bevor. Der Ifo-Geschäftsklimaindex fiel überraschend
deutlich um 1,6 auf 104,7 Punkte.
Der VDMA, Verband der Maschinenbauer, hat seine
Konjunkturprognose gekappt. Statt eines Produktionszuwachses von drei Prozent
peilt man für dieses Jahr nur noch ein Plus von einem Prozent an. Allein die
Exporte von Maschinen nach Russland sind in den ersten sieben Monaten des
Jahres um 18 Prozent gesunken; eine besonders schlechte Nachricht für
Baden-Württemberg, denn hier arbeiten 300 000 Menschen in dieser Branche – mehr
als in der gesamten Automobilwirtschaft.
Die WirtschaftsWoche stellte am 29.9.2014 fest: „Ob es in
den kommenden Monaten wieder aufwärts geht, ist eher fraglich. Denn die labile
Konjunktur in der Euro-Zone sowie die politischen Krisen im Nahen Osten und in
der Ukraine belasten zunehmend das Klima. Die Exporterwartungen der deutschen
Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe fielen im August von 7,6 auf 5,8 Saldenpunkte,
vor allem weil deutsche Autobauer und Zulieferer deutlich schwächere
Auslandsgeschäfte befürchten“.
Alarmierend auch, dass die Arbeitslosenzahlen im September
gestiegen sind.
Hans-Werner Sinn sagte in der WELT vom 25. September 2014:
„Der deutsche Konjunkturmotor läuft nicht mehr rund“. Drastischer formulierte
Olaf Gersemann den Titel seines neuesten Buches: „Die Deutschland-Blase. Das
letzte Hurra einer großen Wirtschaftsnation“ und fasste in der ZEIT vom 21.
9.2014 seine Erkenntnisse kurz und bündig zusammen: „Hochmütig blickt
Deutschland auf andere Wirtschaftsnationen herab. Dabei hat der eigene Abstieg
längst begonnen“. Und er lieferte Zahlen und Fakten dazu: Beim jährlichen
Durchschnittswachstum von 1993 bis 2013 liegt Deutschland mit 1,29 Prozent
unter 166 Ländern auf Platz 156 und damit einen Platz vor Tonga! Großbritannien
und Finnland erreichten im selben Zeitraum 2,4 Prozent, Schweden sogar 2,5
Prozent. Und auch gravierend: In neun von dreizehn Industriebranchen ist das
Nettoanlagevermögen, der „Kapitalstock“, zwischen 2000 und 2012 gesunken. Das
heißt: Die Neuinvestitionen waren niedriger als der Wertverlust der
Altinvestitionen, was bedeutet: Es wurde „deinvestiert“. Anders ausgedrückt:
„Deutschland fährt auf Verschleiß“.
Sichtbar wird „Deinvestition“ auch im öffentlichen Bereich
bei den Infrastruktureinrichtungen, deren Renovierungs- und
Neuerrichtungsbedarf Ausmaße annehmen, dass sie inzwischen zu wahren
Wachstumsbremsen geworden sind.
Die vorgestellten Wirtschafts- bzw. Konjunkturerwartungsergebnisse
beruhen auf Umfragen unter mehr als 7 000 Managern, müssen also als
repräsentativ ernst genommen werden. Die Führungskräfte schätzen nicht alleine
die aktuelle Geschäftslage schwächer ein, sondern sie sie bewerten auch die
Aussichten so schlecht wie seit Jahren nicht mehr. In allen wichtigen
Branchen trübte sich das Klima ein. Dies
gilt für den Handel genauso wie für den Bau und die Dienstleister. Besonders leidet natürlich die
exportabhängige Industrie, der auch die Russland-Sanktionen zu schaffen machen;
verstärkt um die schwache Konjunktur in Europa. „Vom Auslandsgeschäft werden
kaum noch Zuwächse erwartet“, erklärte Sinn.
Konjunkturexperte Klaus Wohlrabe blickt skeptisch auf das
dritte Quartal: „Nach dem schwachen zweiten Quartal werden wir wahrscheinlich
auch ein schwaches drittes Quartal haben“. Keine guten Aussichten also. Gründe
genug, uns nicht vom uns bewundernden Umfeld blenden zu lassen oder uns selbst
was vorzumachen, denn:
Dass Deutschland im Vergleich zu den meisten anderen europäischen
Ländern noch immer gut dasteht, liegt zum einen an deren teils ausgeprägten
Schwäche mit teils dramatisch hohen Arbeitslosenzahlen und anhaltender
Konjunkturflaute und zum andern an dem robusten deutschen Arbeitsmarkt,
steigenden Löhnen und der geringen Inflation.
Olaf Gersemann warnt aber: „Es steht Spitz auf Knopf. Die
deutsche Politik sollte jetzt nicht noch für mehr Unsicherheit sorgen. Die
Wirtschaftspolitik der Bundesregierung aber fußte in ihrem ersten
Dreivierteljahr auf der Grundannahme, dass die deutsche Wirtschaft
unverwüstlich ist und ein paar Belastungsproben schon standhält. Das muss sich
ändern. Schnell“. Auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks fordert: „Der
Standort Deutschland braucht dringend Zukunftsinvestitionen; insbesondere in
die Infrastruktur: Verkehr, Breitbandnetze, Bildung und Qualifizierung als
Grundlage für Innovationen“. Das Handwerk schließt sich dem Wissenschaftler
Gersemann an: „Wir brauchen all das - und zwar schnell“. Denn: Die trübe
Herbststimmung zeigt: Das vermeintliche Kraftzentrum in Europa, Deutschland,
verliert an Kraft!
© Walter Döring
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