Unsere offene Gesellschaft hat nicht zu viele Feinde, sondern zu wenige Verfechter

So allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass weder Donald Trump in den USA noch Geert Wilders in den Niederlanden, weder Marine le Pen in Frankreich noch Norbert Hofer in Österreich, weder Nigel Farage in Großbritannien und auch nicht Frauke Petry in Deutschland ihre Anhänger und Wähler alleine unter den „Abgehängten“ fanden, finden oder finden werden. Jens Münchrath dazu im Handelsblatt: „Die autokratische, antiliberale Ideologie hat längst die Mitte der Gesellschaft erreicht – und es steht zu befürchten, dass diese neue Kraft ihre Wirkung weit über amerikanische Grenzen hinaus entfaltet“.
Diese „neue Kraft“ hat Großbritannien aus der EU heraus befördert, sie hat in Polen und Ungarn die Regierungssitze erreicht, und sie hat vorübergehend aufkeimende Hoffnungen auf eine „von oben“ vorgegebene Hinwendung zu einer „offenen Gesellschaft“ in das glatte Gegenteil verkehrt: Russland und die Türkei haben „mit offenen demokratischen Gesellschaften rein gar nichts mehr gemein“.
Wo bleiben angesichts solcher negativer, die Freiheit aller einschränkenden Entwicklungen die Verteidiger der offenen Gesellschaft? Wo bleibt der Aufschrei derer, die im Grunde für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, vor allem aber eben auch gerade jetzt für die offene und freiheitliche Gesellschaft stehen sollten? Bundeskanzlerin Angela Merkel wäre doch als erste gefordert. Sie ist ja gerade erst von der „New York Times“ als die „letzte Verteidigerin westlicher Werte“ bezeichnet und gefeiert worden. Warum hält sie nicht in Paris, Amsterdam, Warschau oder auch in Budapest eine Rede zur Verteidigung dieser „westlichen Werte“? Wo sind die „Wirtschaftskapitäne“, die doch dringend freiheitliche Gesellschaften brauchen, um erfolgreich sein zu können; wo sind die Joe Kaesers oder die Dieter Zetsches oder die Präsidenten der zahlreichen Kammern und Wirtschaftsorganisationen, die als überzeugte und überzeugende Kämpfer für die Freiheit auftreten?
„Der Freiheit eine Gasse“, wie Theodor Körner ausrief, und dieser Ruf zum geflügelten Wort der Nationalbewegung im 19. Jahrhundert wurde - darum geht es heute mehr denn je.
Die offene Gesellschaft, so heißt es, werde vor allem von den Populisten bzw. den „populistischen Verführern“ bedroht. Mag sein. Dann gilt es, diesem sowohl vermeintlich als auch tatsächlich schädlichem Populismus entgegen zu treten.
Da sind dann zum Beispiel Politiker und auch Journalisten gefordert. Tina Hildebrandt dazu in der ZEIT vom 8. Dezember 2016: „Die Sprache der Politik trägt entscheidend zu deren Ansehensverlust bei“; und macht es Populisten einfach, möchte man anfügen. „Wenn“, so Hildebrandt weiter, „Menschen „freigesetzt“ werden, die ihren Job verlieren, wenn gescheiterte Verhandlungen „konstruktiver Dialog“ genannt werden – dann gewinnen diejenigen, die einfach sagen, was sie denken. … Sagen, was ist: So wünscht man sich die Sprache der Politiker. … Aber weil Ehrlichkeit angreifbar macht, müssen sich nicht  nur die Politiker ändern, sondern auch die Politikbeobachter. Sollen Politiker leidenschaftlicher streiten, dürfen Journalisten nicht jeden Streit als Machtkampf betrachten. Streit um Inhalte muss dann auch bedeuten, dass man sich einmal die Inhalte anschaut und nicht nur den Streit. Wenn es sich Journalisten seltener leicht machten, hätten es die Populisten schwerer“.
Und vor allem darf die Politik keine „Ohnmachtserklärungen“ abgeben; wie z. B. bei der von den Banken verursachten Finanzkrise oder bei den Folgen des „Dieselgate“ von VW, als die Manager dieses Autobauers noch Öl ins Feuer gossen, indem sie ankündigten, wegen des Diesel-Skandals allein in Deutschland 23 000 Stellen abzubauen – „und ganz selbstverständlich ihre Boni einsackten“. Wer da nicht klar Stellung dagegen bezieht, leistet nicht nur keinen Beitrag zur Verteidigung der Freiheit bzw. der offenen Gesellschaft, sondern leistet ihrer Ablehnung Vorschub..
Miriam Meckel, Chefredakteurin der WirtschaftsWoche, sieht da auch die Kanzlerin in der Pflicht:  „In ihrer 77-minütigen Rede auf dem Bundesparteitag der CDU hat ihre Chefin Angela Merkel, die ja auch Bundeskanzlerin ist, exakt sechs Mal über Wirtschaft gesprochen. Jeweils kurz und unverbindlich. Es ging allgemein um soziale Marktwirtschaft, Arbeitsplätze und Digitalisierung. Wo waren die klaren Worte zu den Investitionen in die Zukunft, zu den Kosten der Energiewende, denen der Flüchtlingsintegration, für mehr unternehmerische Freiheit, um Digitalisierung in wirtschaftliches Handeln umzusetzen“? Natürlich zum Wohl aller, zumal derer, die sich fürchten, die Angst um ihre Arbeitsplätze haben.
Wir müssen den Menschen nicht zuerst die Angst vor dem sozialen Abstieg, sondern die Angst vor Veränderung und die Angst vor einer offenen Gesellschaft nehmen. Dazu ist dann zuvorderst auf all ihre Chancen, aber auch ihre Herausforderungen einzugehen, indem diese offen angesprochen werden.
Wer schweigt oder nicht an- und ausspricht, was an- und auszusprechen ist, der verteidigt nicht die offene Gesellschaft, die uns seit Jahrzehnten Wohlstand bringt, sondern der schürt durch Weglassen Ängste.

Diese offene, unsere Gesellschaft, ist gefährdet, nicht weil sie zu viele Feinde, sondern weil sie zu wenige Verfechter hat.

© Dr. Walter Döring

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