Wir sind zu selbstzufrieden – und rutschen auch deshalb im internationalen Vergleich ab

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist aktuell so hoch wie seit mehr als 25 Jahren nicht mehr, die Jugendarbeitslosigkeit ist so gering wie nirgends sonst in Europa, die Einkommen sind – moderat, aber immerhin – gestiegen, und die meisten Bundesbürger sehen durchaus zuversichtlich in das Jahr 2017, wenn sie ihre individuelle wirtschaftliche Situation betrachten. Dies vor allem auch deshalb, weil 93 Prozent aller Beschäftigten ihren Arbeitsplatz als „sicher“ bewerten.
Als Folge von all dem hat sich eine gehörige Portion Selbstzufriedenheit unter uns Deutschen breit macht.
Aber es ist doch auch alles ok, oder? Mitnichten! Das höchst renommierte ZEW (Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung), die Stiftung der Familienunternehmen und das Handelsblatt stellen warnend fest: Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist „abgestiegen“, raus aus den Top 10!
Hier in unserer Region, der Region der Weltmarktführer, der „Nahezu-Vollbeschäftigung“, der europaweit überdurchschnittlichen Einkommen eigentlich kaum zu glauben; und dennoch: es ist so. Zu den Fakten:
Zunächst sind da einmal die fünf großen Unsicherheiten zu nennen, die zwar weltweit für alle, ganz besonders aber für die stark internationalisierten deutschen mittelständischen Unternehmen eine Gefahr, zumindest aber eine Risikolage darstellen: 1. Wie wird es US-Präsident Donald Trump mit dem Freihandel halten, auf den die deutschen Automobilzulieferer und die Maschinenbauer besonders angewiesen sind, um Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen? 2. Was bedeutet der Brexit für die deutsche Wirtschaft? 3. Wie geht es weiter mit den Sanktionen gegen Putins Riesenreich / wann können dort wieder „ordentliche“ Geschäfte gemacht werden? 4. Wird Erdogan die Türkei zu einem unberechenbaren Partner auch im Bereich des Güter-, Waren- und Dienstleistungsaustausches machen? 5. Welche Gefahren gehen weiterhin vom IS-Terror aus, werden dadurch noch mehr Länder als sichere Wirtschaftspartner ausfallen?
Richtig, und deshalb nochmal: Das sind Unwägbarkeiten, von denen alle EU-Länder und auch darüber hinaus betroffen sind. Wir aber als weltweit agierende Exportnation, bis vor kurzem sogar Exportweltmeister, eben ganz besonders.
Das ZEW hat zum Jahreswechsel in einer aufwendigen Studie einen Ländervergleich vorgenommen und herausgearbeitet, welche Bedingungen die Unternehmen in den jeweiligen Ländern - 17 europäische und die USA wurden zum Vergleich herangezogen - vorfinden. Wie teuer ist die Energie? Wie tragfähig ist die Datenleitung? Wie fällt der Besteuerungsvergleich aus? Welche Position nimmt das Bildungswesen im internationalen Vergleich ein? 
Gesamtergebnis der Studie: Deutschland ist auf Platz 12 zurückgefallen.
Kein Trost, dass andere große EU-Länder wie Frankreich, Spanien und Italien die Schlusslichter der 18 betrachteten Länder bilden. Die Schweiz, Finnland und Dänemark sowie die Niederlande liegen vorne. Auch, weil die Steuergesetzgebung einfacher und die Reformbereitschaft größer sind. Finnland zum Beispiel erprobt jetzt mit 2 000 Teilnehmern das „bedingungslose Einkommen“, über das hier seit Jahren ohne jede Erfahrungskompetenz eben nur kontrovers diskutiert wird. Oder ein anderes Beispiel:  Bei der „Verkabelung“ ist Deutschland alles andere als führend. Und das, obwohl gerade unsere Unternehmen auf schnellstmöglich Datenübertragung geradezu existenziell angewiesen sind.
Präzise und detailliert untersucht hat das ZEW fünf wichtige Einzelindikatoren und kam dabei zu den folgenden für Deutschland eher ernüchternden Ergebnissen: 1. Bei der effektiven durchschnittlichen Steuerbelastung liegt die Slowakei auf Platz 1, Großbritannien auf Rang 7, Finnland auf 8 und Deutschland relativ weit abgeschlagen auf Platz 13. 2. Bei den Arbeitskosten je Stunde im verarbeitenden Gewerbe führt Polen vor Tschechien mit den USA auf Platz 6, Italien auf 7 und Deutschland auf Rang 14! 3. Hinsichtlich der Marktregulierung im Arbeitsmarkt bei Einstellungen und Kündigungen liegen die Schweiz, Dänemark und die USA auf den ersten drei Plätzen, Deutschland findet sich in dieser Kategoerie erst auf Platz 13 wieder. 4. Beim Breitbandnetz bezüglich Datentransferrate je Nutzer in kBit pro Sekunde „grüßen“ Luxemburg, Schweden, Großbritannien und die Schweiz von den ersten Rängen, während auch hier Deutschland abgeschlagen lediglich Platz 11 einnimmt, was hinsichtlich Innovation und weltweiter Kommunikation bedenklich ist. 5. Die hohen Strompreise für industrielle Kunden sind längst ein Wettbewerbsfaktor, unter dem die deutschen Unternehmen leiden, da sie fast die höchsten aller untersuchten Länder zu entrichten haben: Platz 16 von 18!
Studienleiter Friedrich Heinemann vom ZEW: „Bei uns herrscht zu viel Selbstzufriedenheit, und Reformen finden kaum noch statt. Da muss sich etwas tun, sonst werden wir noch mehr angehängt“.

Dem ist nichts hinzu zu fügen.

© Dr. Walter Döring

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