Vorsicht: „Overtourism“!
Wahrscheinlich geht es Ihnen
erst einmal wie mir, als ich zum ersten Mal das Wort „Overtourism“ gelesen
habe: Was ist jetzt das? Muss was Neues sein! Hört sich aber ebenso interessant
wie spannend an. Also worum geht es?
Im vergangenen November trafen
sich in Pisa internationale Reisefachleute, die diesen neuen Begriff schufen
und ihn sogleich in die Welt hinausposaunten, auf dass er rechtzeitig vor der
weltweit größten Tourismusmesse, der ITB in Berlin Anfang März 2018, für Furore
sorgen könne; schwer angestrengt übersetzt mit „Übertourismus“.
Es geht also um die seit Jahren
kontinuierlich steigenden Touristenzahlen, die von den Hoteliers der
Destinationen gefeiert, von der „überfluteten“ einheimischen Bevölkerung aber
zunehmend mit Verärgerung bis hin zur offenen Ablehnung registriert werden.
Die Reiselust ist weltweit
ungebrochen: 2017 stieg die Zahl grenzüberschreitender Reisen um sechs Prozent,
alleine in den Monaten Juli und August waren weltweit mehr als 300 Millionen Auslandsreisen
zu verzeichnen. Insgesamt waren wir Deutschen im vergangenen Jahr an 1,68
Milliarden Tagen auf Ausflügen und längeren Reisen unterwegs; Weltrekord!
In den Zielländern befindet sich
die Begeisterung hierüber schon länger im Sinkflug, hat teilweise nicht nur
bereits den Boden erreicht, sondern sich sogar ins glatte Gegenteil verkehrt
und zu massiven Abwehrreaktionen geführt:
In Venedig – hier treffen
jährlich sagenhafte 22 Millionen Besucher auf 55 000 Einwohner! - wehren sich die Einheimischen mit
Spruchbändern – „Grandi Navi – no!“ – gegen große Schiffe, die teilweise bis zu
6 000 Touristen „geladen“ haben und diese in die Lagunenstadt „auskippen“;
mehrmals täglich! Schon kurz nach dem Ausstieg sehen sie sich neuerdings mit
der an Hauswänden gehefteten Aufforderung konfrontiert: „Touristen, geht weg!
Ihr zerstört unsere Gegend!“
Auf Mallorca zogen im letzten
September mehrere Tausend Insulaner durch die Straßen, „um gegen
Umweltprobleme, überfüllte Strände, Trinkwasserknappheit und teure Wohnungen zu
demonstrieren“.
Umgekehrt klagen auch die
Reiselustigen „aller Länder“ über „völlig überfüllte“ Reiseziele, seien es
Sehenswürdigkeiten oder auch Urlaubsorte. So erwies sich nach einem Bericht des
Handelsblatts die Chinesische Mauer als „Negativ-Champion“, eine weltberühmte
Sehenswürdigkeit, „die jeder vierte Besucher als inakzeptabel überfüllt
kritisierte“. Ähnlich schlecht schnitten einzelne Skigebiete in den Dolomiten,
Küstendörfer an Italiens Riviera sowie die Metropolen Amsterdam und Istanbul, dazu
noch Barcelona und Florenz ab.
Amsterdam reagierte recht
rabiat: Die Stadtverwaltung begrenzte die Anzahl der Tage, an denen Privatleute
ihre Betten vermieten dürfen auf 30 pro Jahr und neue Geschäfte mit Souvenir-
und Touristenbedarfsangeboten sind ebenso untersagt wie neue
Fast-Food-Anbieter, Fahrradverleiher und Eisdielen.
Mallorca erhöhte die Kurtaxe –
der angestrebte Erfolg blieb aus: Die Zahlen der Malle-Besucher sind deutlich
gestiegen; Tendenz: weiter nach oben.
Der Präsident des deutschen Touristikverbands,
Ex-TUI-Chef Michael Frenzel, antwortete auf die Frage nach Lösungsvorschlägen:
„Es gilt, Lösungen zu finden, die den Unmut ernst nehmen, beheben und möglichst
erst gar nicht aufkommen lassen. … Ganz generell soll es darum gehen, es durch
geschicktes Management, durch Innovationen und Investitionen erst gar nicht zu
Problemen kommen zu lassen. Saisonverlängernde Ideen wie auch spezielle
Marketingmaßnahmen und Angebote für die Nebensaison können für Badeziele
zielführend sein; in Städten kann es hilfreich sein, den Gästen Attraktionen
und Stadtteile abseits der klassischen Touristenpfade schmackhaft zu machen.
Und mit Blick auf Einwohnerproteste
macht es Sinn, dass Kommunen die sogenannte Sharing-Economy-Angebote
stärker regulieren“.
Scheint mir alles nicht sehr
hilfreich, weshalb vielleicht nur eine Selbstbescheidung hinsichtlich der
Anzahl individueller Reiselust Abhilfe schaffen kann, wenn wir nicht noch mehr
„Bhutan-Regelungen“ gegen „Overtourism“ erleben wollen: „Wohin die Furcht vor
Overtourism führen kann, zeigt das Himalaja-Königreich Bhutan. Ins Land darf
nur, wer einen Guide beauftragt und pro Urlaubstag umgerechnet 225 Euro zahlt.
Die Einreisezahlen hat der buddhistische Staat streng limitiert. Laut
Fünfjahresplan sollen 2018 nicht mehr als 200 000 Touristen ins Land kommen.
Ziel der Politik sei das Glück der Landesbewohner“. So kann aber eben nur ein
Staat handeln, dessen Bevölkerung bei ihrem Streben nach Wahrung des
„Bruttonationalglücks“ auf Wirtschaftseinnahmen verzichtet – was bisher
nirgends auf der Welt Nachahmer gefunden hat.
© Dr. Walter Döring
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