EUROPA ist mehr als "nur" Flüchtlingspolitik!

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Bei mehreren Besuchen im EU-Parlament in Straßburg stand stets die Zukunft der Europäischen Union im Mittelpunkt meines Gedankenaustausches mit den EU-Parlamentarierinnen und Parlamentariern, wobei auffallend war, dass die Abgeordneten von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen "überparteilich" mit Nachdruck darum baten, für "Pro-Europäische-Parteien" bei den EU-Wahlen im nächsten Jahr zu werben, da "man sonst nicht wissen könne, was aus der EU künftig werden solle".
In allen Gesprächsrunden war auch immer wieder betont worden, dass "Europa mehr ist" als das die Schlagzeilen beherrschende Thema "Flüchtlingspolitik", so wichtig dieses für den Zusammenhalt der EU insgesamt auch zweifelsfrei ist.

Stimmt! Europa ist mehr! 

Und dazu führe ich gerne ein Zitat des spanischen Philosophen Jose Ortega y Gasset an: "Ziehen wir heute eine Bilanz unseres geistigen Besitzes, so würde sich herausstellen, dass das meiste davon nicht unserem jeweiligen Vaterland, sondern dem gemeinsamen europäischen Fundus entstammt. In uns überwiegt der Europäer bei weitem den Deutschen, Spanier, Franzosen. Vier Fünftel unserer inneren Habe sind europäisches Gemeingut".
Die Achtung der Menschenrechte, Religions-, Presse- und Meinungsfreiheit, die Sicherung und Wahrung des friedlichen Miteinanders der europäischen Völkergemeinschaft sowie des vielfältigen kulturellen Erbes zeichnen unsere Wertegemeinschaft aus, in die uns Deutsche schon wenige Jahre nach dem von uns begonnenen Zweiten Weltkrieg große Europäer wie Robert Schuman, der "Erfinder der Montanunion", oder Jean Monnet, einer der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft ohne je Politiker gewesen zu sein, und nicht zuletzt auch Charles de Gaulle wieder aufgenommen haben.
Daran haben mich Vertreter von Ländern des Westbalkans in zahlreichen Unterredungen mit Nachdruck erinnert, die sich eine Aufnahme in die Europäische Union wünschen. Serbien, Aufnahmekandidat seit 2012, Albanien, seit 2014, Montenegro, seit 2010, Mazedonien, seit 2018, Bosnien-Herzegowina, stellte 2016 einen Aufnahmeantrag, und auch das umstrittene Kosovo streben nach einer Mitgliedschaft. Wir sollten "großherziger", ja auch mutiger sein und europäische Notwendigkeiten erkennen und danach handeln; auch, weil uns klar sein sollte, wohin sich diese europäischen Länder wenden werden, wenn wir ihnen noch lange die kalte Schulter zeigen. Das Gegenteil tut not: Ermutigen wir diese Beitrittskandidaten! Gut, dass Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, der zum 1. Juli den EU-Ratsvorsitz übernommen hat, den Ländern des Westbalkans konkrete Perspektiven eröffnen möchte.
Klar, manche "europäische Notwendigkeit" ist unbequem, aber eben "notwendig". Darauf hat Jacques Schuster, Kolumnist der WELT, jüngst aufmerksam gemacht, als er fragte, warum die Europäer mit den Deutschen an der Spitze nicht auf die Idee kommen, "ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Warum empfinden die Europäer eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Ausdruck amerikanischen Zwangs - bei allem "Trump-Bashing" muss man auch mal darauf hinweisen, dass es diese Forderung der Amerikaner seit John F. Kennedy gibt - und nicht als eine europäische Notwendigkeit, die selbstverständlich sein sollte, will der Kontinent auf eigenen Beinen stehen? Wo bleibt das strategische Denken? Welche politische Antwort hat der Kontinent auf die Krisen der Welt?"

DIE EUROPÄISCHE NOTWENDIGKEIT

Eine ganz besonders dringende Notwendigkeit stellt die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, vor allem der hohen Jugendarbeitslosigkeit dar. Wie soll es denn gelingen, unter den jungen Europäern und Europäerinnen für die Vorteile der Europäischen Union zu werben, wenn wir in der EU im Durchschnitt eine Jugendarbeitslosigkeit unter den 15- bis 24-Jährigen in Höhe von mehr als 15 Prozent zu beklagen haben? Im Durchschnitt! In Griechenland beträgt sie 45, in Spanien und Italien jeweils etwa 33 und selbst in Finnland 19 und in Frankreich 20 Prozent. Wenn es nicht bald gelingt, der europäischen Jugend eine berufliche und damit ja auch Lebensperspektive aufzuzeigen, an die sie wegen konkreter Maßnahmen glauben können, dann wird die EU keine Zukunft haben!
Deshalb muss mehr Geld in Bildung gesteckt werden; richtig: Das kostet viel Geld, keine Bildung ist aber um ein Vielfaches teurer.
Die Programme Erasmus, Erasmus + und Comett müssen bekannt gemacht, aufgestockt und umgesetzt werden.
Hinzu kommen sollten zeitnah Investitionen in den besonders von Arbeitslosigkeit gebeutelten Ländern. Hier ist die Wirtschaft gefordert; allen voran auch die deutsche. Robert Schuman hatte recht: "Europa wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen". Solidarität mit den weniger Begünstigten ist eine "europäische Notwendigkeit" - und sollte eine pure Selbstverständlichkeit sein.
Eine erfreuliche Entwicklung soll hier noch erwähnt werden: Am 14. Mai haben junge Europäer und Europäerinnen ihre Agenda für ein geeintes Europa der Zukunft an Politik und Wirtschaft übergeben. In dieser werben sie kundig, umfassend und mit klugen Ideen für Europa. Zu diesen gehört, um dem fehlenden Bewusstsein für die Werte, die Bedeutung und die Erfolge der EU entgegenzuwirken der Vorschlag, eine jährliche "Europäische Woche" einzuführen, "mit dem Ziel, das Bewusstsein für die Europäische Union zu schärfen und die europäische Identität zu stärken"; ergänzt um die Aufforderung, "regelmäßig öffentliche Veranstaltungen und Bürgerdialoge mit EU-Parlamentariern durchzuführen".
Nach wie vor gilt: Europa ist zur Zeit "der beste Teil der Welt". Arbeiten wir gemeinsam daran, dass dies so bleibt. Machen wir den Kleingeistern deutlich, dass es zu Europa keine vernünftige Alternative gibt. Verdeutlichen wir, dass wir nicht "Zahlmeister" Europas sind, dass wir nicht "abgeben", sondern "teilhaben lassen", dass kein Land so sehr von dieser Europäischen Union profitiert wie Deutschland. Werben wir für die "Pro-Europäer", damit die Europäische Union in einer immer vollatileren, immer unsichereren Welt, eine gute Zukunft hat!


© Dr. Walter Döring


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