Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit

...Vor allem in der Steuerpolitik!

Geradezu gebetsmühlenartig fordern vorwiegend die unterschiedlichen Wirtschaftsverbände jetzt zu Jahresbeginn wieder – „the same procedure as every year“ (Dinner for one) – eine Steuerreform, wobei sie sich nachvollziehbarerweise auf eine Senkung der Unternehmenssteuern konzentrieren. Weitgehend übereinstimmend erklären sowohl BDI-Präsident Dieter Kempf als auch DIHK-Präsident Eric Schweitzer, „dass es für Unternehmen zunehmend existenzgefährdend wird, dass sich die Bundesregierung dem internationalen Wettbewerb nicht stellt“ und sehen „dringenden Handlungsbedarf“.

Donata Riedel belegte im Handelsblatt, dass die internationalen Vergleichszahlen den beiden Präsidenten recht geben: „Unternehmen zahlen in den USA nach Trumps Steuerreform durchschnittlich 26 Prozent Steuern. In Deutschland beträgt der tarifliche Steuersatz 31 Prozent“; im Durchschnitt der „EU-28“ liegt er bei exakt 23,0 Prozent. Nie zuvor seit der Wiedervereinigung war die Steuerlast so hoch.

Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts, sekundiert den Verbandspräsidenten: „Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts. Deutschland droht Opfer von Gewinnverlagerungen zu werden“. Dem schließen sich andere, wie z. B. der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, an, der die sofortige „vollständige Abschaffung des Solidaritätsbeitrags“ fordert.
Jan Dams konstatierte am 13. Januar in der WamS: „Die Bundesregierung schwimmt im Geld – weshalb sie ständig neue Aufgaben erfindet. Für jeden hat sie etwas übrig. Nur für einen nicht: Den Steuerzahler. Dabei wäre es an der Zeit“.

Mit dem „Im-Geld-Schwimmen“ hat er recht: Auch 2018 hatte der Bundeshaushalt wieder einen satten Überschuss zu verzeichnen: 11,2 Milliarden Euro mehr als geplant konnte Finanzminister Scholz einnehmen; dank guter Konjunktur und dank fleißiger Arbeitnehmer/innen, die ebenso fleißig Steuern zahlten.

So berechtigt, da ja auch wohlbegründet, all diese Forderungen sind, so möchte ich diesen Herren Präsidenten und Wissenschaftlern doch mit den Worten Kurt Schumachers zurufen: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit!“

Und die sieht nun mal so aus, dass die Große Koalition, ohnehin nach Olaf Gersemann in einem „Reformstreik“, nichts davon in ihrem Koalitionsvertrag stehen hat, worauf die Sozialdemokraten bei jeder aufkommenden Steuersenkungsdiskussion nachdrücklich hinweisen; nicht zuletzt Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), der bisher ebenso häufig wie der Ruf nach Steuersenkungen aufkam, konsequent ebenso oft alle diesbezüglichen Begehren der Wirtschaft entschieden zurückgewiesen hat. Jüngst erst wieder in aller Klarheit; so zitierte ihn am 7.1.2018 das Handelsblatt mit den Worten: „Die fetten Jahre sind vorbei. Es gibt keinen Spielraum für Steuersenkungen. Wir wollen keine neuen Schulden machen, auch wüsste ich nicht, woher ich das Geld dafür nehmen sollte!“ Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat jeglichem Ansinnen dieser Art brüsk eine Absage erteilt und auf den Koalitionsvertrag verwiesen – und in diesem steht weder die vollständige Abschaffung des Solis noch eine Steuerreform zur spürbaren Entlastung von Unternehmen. SPD-Haushaltspolitiker Kahrs am 14. Januar: „Es gibt kein Geld im Haushalt für Steuersenkungen für Unternehmen“.

Wenig überraschend; überraschender ist da schon eher die Haltung des CDU/CSU-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus, der angesichts der dringenden Ausgaben des Bundes für Infrastruktur und Bildung Steuersenkungen als „ambitioniert“ und „schwierig“ bezeichnete. Leidenschaft für Steuersenkungen sieht anders aus.

Neben diesen nicht von der Hand zu weisenden realpolitischen Gegebenheiten – Denkt an Schumacher: „Betrachten der Wirklichkeit!“ - leiden die Forderungen der Wirtschaftsverbände meiner Meinung nach auch darunter, dass sie „zu kurz springen“: In ihrer Einseitigkeit lassen sie die mindestens genauso berechtigten Anliegen ihrer Angestellten / Mitarbeiter/innen nach steuerlicher Entlastung und dem Wunsch nach „mehr netto vom brutto“ außer acht. Das, diese Einseitigkeit, geht aber gar nicht, denn vor allem bei der Belastung der Arbeitseinkommen liegt unser Land international deutlich an der Spitze. Auch wenn die gerade erst veröffentlichte UN-Studie zeigt, dass die Deutschen „Steuern gar nicht so negativ sehen“, so haben sie doch den ebenfalls sehr berechtigten Wunsch nach Entlastung. Eine wirkliche Steuerreform, die auch ich – da die letzte mehr als zehn Jahre zurückliegt - für überfällig halte, muss alle Aspekte berücksichtigen und darf nicht als „Stückwerk“ daherkommen.

Was muss international, was zu „mehr Gerechtigkeit“ im gesamten Steuersystem, was zu einer Vereinfachung, was zu Investitionsanreizen, was zur Standortsicherung, was im Zusammenhang mit der Grunderwerbsteuer, was muss zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung getan werden, was soll aus der Abgeltungssteuer werden, was muss bei den Steuern zur Zielerreichung von mehr „Volkseinkommen“ berücksichtigt werden? Diese Fragen müssen vor einer Steuerreform beantwortet werden, sonst bleibt sie eine „Unvollendete“.

Altbekanntes „Stückwerk“ macht es den Gegnern von Steuersenkungen leicht, diese abzulehnen. Ein Gesamtkonzept, das alle Aspekte gleichberechtigt berücksichtigt, braucht etwas mehr Anstrengung respektive Zeit. Dann kann eine „wirkliche Steuerreform“ eines der Schwerpunktthemen des nächsten Bundestagswahlkampfes werden und nach der nächsten Bundestagswahl schließlich auch umgesetzt werden; vorher wird’s wohl nichts werden; bedauerlich, aber wie gesagt: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit!


© Walter Döring

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