Europa muss solidarisch handeln!

Wenn gilt, dass sich in der Krise, in einer existenziellen Notlage, die Stabilität und Nachhaltigkeit von Freundschaften beweisen, dann war es um die Europäische Union, um deren Zusammenhalt zu Beginn von Corona, nicht zum Besten bestellt. Enttäuschte Italiener verbrannten Europaflaggen, weil sie vor allem ihre Nachbarn im Norden für unsolidarisch, geizig und egoistisch hielten und wahrscheinlich noch immer halten; fest im Blick dabei: wir, die Deutschen. Frankreichs Präsident Emanuel Macron stimmte mit seinen Kollegen in Spanien, Italien und weiteren Mitgliedern aus dem „Club Med“, den Mitgliedern im Süden der EU, das aus der Euro-Krise sattsam bekannte Lied der Forderung nach Euro-Bonds, jetzt „Corona-Bonds“ genannt, an: die Vergemeinschaftung der Schulden innerhalb der EU.

Schade und sehr zu bedauern zugleich war wieder einmal, dass anscheinend tatsächlich zuerst Europaflaggen brennen mussten, die Dramen in den italienischen Städten nicht mehr übersehen werden konnten, sich die furchtbare Not der medizinisch und klinisch Unterversorgten via TV in unsere Wohnzimmer drängen mussten, bis „die in Brüssel“ und die Regierenden in Europas Hauptstädten sich dazu durchringen konnten, nicht zuerst und vor allem - und teilweise auch noch ausschließlich - den Blick auf ihre Nation, ihr Volk, zu richten und auf dieses alle ihre (nationalen) Hilfsmaßnahmen zu konzentrieren, sondern erkannten, dass die Europäische Union nach Finanz-, Euro- und Flüchtlingskrise innerhalb von gerade einmal eineinhalb Jahrzehnten erneut in eine existenzielle Krise zu geraten drohte. Fehler wurden mit Grenzschließungen und dem Exportverbot von Atemschutzmasken – Deutschland! - gemacht. Der ehemalige langjährige EU-Kommissionspräsident Jacques Delors formulierte drastisch: „Die EU befindet sich in Lebensgefahr“. Macron sah sein Land „im Krieg“, Conte in Italien klagte die „mangelnde Solidarität“ mit seinem Land an und versicherte, dass „man sich dies merken werde“, und Spaniens Sanchez bat um „mehr Mitmenschlichkeit“.

Der Präsident der Europäischen Investitionsbank, Werner Hoyer, brachte es in einem Interview mit dem Handelsblatt auf den Punkt: „Wenn der Ansatz „Italy first“, „France first“ oder „Germany first“ lautet, dann wird Europa an letzter Stelle kommen“.

Da mag auch manche Übertreibung zum Ausdruck gekommen sein, aber der Kern der Klagen war berechtigt: Die Europäische Union drohte - wieder einmal - an sich selbst zu scheitern. Eines der vielen sichtbaren Zeichen: Die kilometerlangen Staus an der Grenze zu Polen - und das in einer EU, die für Grenzöffnung stand und hoffentlich noch immer steht!

Zum Glück blieb es dann nicht bei folgenlosen Video-Konferenzen, deren Ergebnislosigkeit die EU zu sprengen drohte, sondern es folgten wichtige Erklärungen von Merkel für Deutschland, von Kurz für Österreich und von Rutte für die Niederlande, warum die Ablehnung von „Corona-Bonds“ keiner kalten Hartherzigkeit, sondern nachvollziehbaren und berechtigten Überlegungen und Verantwortungsbewusstsein entspringt: Sie wollen keine Schulden anderer übernehmen. Sie haben verantwortungsvoll gewirtschaftet, mit der Schuldenbremse dafür gesorgt, dass sie jetzt in der Not Reserven haben und handeln, wie wir alle mit unseren Kreditkarten auch: Keiner gibt seine Karte aus der Hand, ohne Einfluss darauf nehmen zu können, was der Empfänger damit anfängt!

Aber die Ablehnung von Euro-Bonds heißt ja nun überhaupt nicht, dass wir, die Deutschen, nichts abgeben wollen. Unsere Vorschläge sind vernünftig, sinnvoll und sehr hilfreich; es geht um die drei folgenden konkreten Punkte: Erstens der ESM, der Europäische Stabilitäts Mechanismus, der ein Volumen von stolzen 410 Milliarden Euro aufweist, wird eine vorsorgliche Kreditlinie für besonders schwer betroffene Euro-Staaten einrichten. Anders als bisher werden die strengen Regelungen abgesenkt werden. Sprich: Die Vorschriften und Verpflichtungen gehen runter auf „Null“, wodurch der Zugang z. B. für Italien entscheidend erleichtert wird. Zweitens wird die EIB, die Europäische Investitionsbank, bis zu 200 Milliarden zusätzlich gezielte Liquidität und kurzfristige Kapitalhilfen mobilisieren. Und drittens werden EU-Mittel für die Zahlung von Kurzarbeitergeld zur Verfügung gestellt werden. Bei allen drei zur Verfügung gestellten „Töpfen“ ist die Bundesrepublik jeweils „Hauptzahler“; ist ja auch ok so, denn kein anderes Land profitiert so sehr von der EU wie wir als mit Abstand exportstärkstes Land innerhalb der Europäischen Union.

Von daher müssen gerade wir zur Solidarität auffordern und uns vor allem selbst solidarisch zeigen. Wir stehen, wie Joschka Fischer und Sigmar Gabriel völlig zu Recht feststellten vor unserer größten Bewährungsprobe. Wir dürfen nicht nach der Maxime handeln: „My-nation-first“, sondern wir müssen die Sinnhaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Europäischen Union unter Beweis stellen: Solidarisch handeln, denen helfen, die am meisten unter Corona zu leiden haben, Europa als Ganzes begreifen und schon heute vorsorgen für das, was „danach“ auf uns zukommt: Frau von der Leyen nennt es einen „Marschallplan für Europa“; kurz gesagt: Auch nach Corona werden wir solidarisch handeln müssen, um die Wirtschaft in ganz Europa wieder zum Laufen zu bringen, damit keine Massenarbeitslosigkeit droht. Gerade wir Deutschen sollten aus unserer historischen Erfahrung wissen, was dies bedeuten, was dann drohen kann. Wir haben die Mittel und wir sollten auch den Willen dazu haben, ganz selbstverständlich solidarisch zu handeln: Helfen wir den Schwächeren, dann helfen wir damit auch uns. Ich hoffe sehr, dass wir eine mutige und solidarische europäische Lösung finden!

Und Hoffnung für unsere Europäische Union macht auch die Tatsache, dass die EU jetzt, in dieser angespannten Phase, Albanien und Nordmazedonien grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen gegeben hat. Dies zeigt: Die Wertegemeinschaft EU ist und bleibt attraktiv für den Westbalkan – und dieser ist attraktiv für die gesamte EU.

Walter Döring

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