Wir haben zu viele Studierende und zu wenige Lehrlinge!

In Deutschland haben wir derzeit eine Entwicklung, die Sorgen bereitet: Auf der einen Seite suchen in diesem Frühjahr Ausbildungsbetriebe händeringend Lehrlinge und veranstalten Werbe- und Vermittlungsaktionen quer durch die gesamte Republik, und auf der anderen Seite wissen die Hochschulen - und zunehmend auch der Wohnungsmarkt in den Hochschulstädten! -  nicht mehr, wie sie die kontinuierlich anwachsende Zahl der Studierenden unterbringen sollen.

So führte die IHK der Region Stuttgart am 16. Juni einen Tag der Ausbildungschance durch und bot 1 500 offene Lehrstellen an, und Unis und Studierende stöhnen in der gleichen Woche über überfüllte Hörsäle und fehlende Wohnungen.

Dabei geht es dem nationalen Bildungsbericht zufolge um gewaltige Dimensionen, von denen Barbara Gillmann dieser Tage im Handelsblatt berichtete: „Die Zahl der Studienanfänger ist in nur sechs Jahren um 50 Prozent auf mehr als 500 000 gestiegen. 2013 war sie erstmals höher als die der neuen Azubis. Deren Zahl hingegen ist seit der Jahrtausendwende um 15 Prozent gesunken“.

Nicht wenige Experten malen deshalb schon eine wenig erbauliche Perspektive an die Wand: In wenigen Jahren stehen uns nur noch BWL-Bachelor-Absolventen, aber keine Industriekaufleute mehr zur Verfügung; von fehlenden Bäckern, Schreinern und vor allem Krankenschwestern und Pflegern ganz zu schweigen.
Klar war es zu Beginn der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts richtig, den Hochschulzugang sukzessive aus der „Klassenpolitik“ mit „Chancen ausschließlich für Privilegierte“ herauszulösen und ihn auch breiten Bevölkerungsschichten zu ermöglichen. Aber nach ungezählten Experimentierphasen im gesamten Bildungsbereich ist das Ganze in die falsche Richtung gelaufen: Plötzlich „hagelt“ es geradezu gute Noten bis hin zu Einser-Abitur und Hochschulzugangsberechtigungen - 42 % eines Jahrgangs machen Abitur plus 15 % Fachabitur! -  auch für Schulabgängerinnen und –gänger, die mit inflationär vergebenen guten Noten auf die falsche Spur gesetzt werden.

Wie anders ist es zu erklären, dass heute 28 Prozent der Bachelor-Studenten ihr Studium abbrechen - mit beklagenswerten Folgen für die Gesellschaft und erst recht für die „Gescheiterten“?

So lange unsere Gesellschaft fälschlicherweise den Hochschulabsolventen für „bedeutender“ und „wichtiger“ hält als den Handwerker, und ihn deshalb auch mit besseren Gehaltsperspektiven lockt, wird eine Trendumkehr kaum möglich sein.

Aber neben einer sinnvollerweise wieder realistischeren Notengebung an den Gymnasien und damit einhergehend auch höheren Anforderungen hinsichtlich der vielfach zitierten „mangelnden Studierfähigkeit“ gibt es auch noch andere ungenutzte Potentiale für das dringend benötigte Anwachsen der Lehrlingszahlen: So verfügen z. B. sage und schreibe 18 Prozent der Dreißigjährigen über keinen Berufsabschluss; da werden sich doch einige noch nachqualifizieren lassen! Etwa 250 000 junge Menschen hängen in sogenannten „Übergangssystemen“, von denen der größte Teil in eine Lehre qualifiziert werden können sollte. Und nicht zuletzt die riesigen Potentiale, die bei den Migranten sträflich brach liegen: So haben ca. 50 Prozent der jungen Türkinnen und Türken keine Ausbildung! Das kann doch wohl nicht wahr sein! Da sind Politik, Gewerkschaften, Kammern und Arbeitgeber gefordert! Gillmann: „Das Handwerk ist schon relativ weit, doch in der Fläche muss noch viel mehr passieren. Vor allem gilt es, die Elterngeneration der Migranten zu informieren und zugleich die selbständigen Migranten viel intensiver als bisher dazu zu motivieren, selbst auszubilden“.

Die dargestellte Entwicklung mit immer mehr Schulabgängern, die ein Studium anstreben, setzt die duale Ausbildung unter Druck und damit ausgerechnet das einzige System im gesamten deutschen Bildungswesen, das sich die ganze Welt auf den Weg macht, nachzuahmen.

Viel wichtiger aber: Wenn wir keine Pflegerinnen und Pfleger mehr haben, die unsere älter werdende Gesellschaft im Alter betreuen und begleiten, und wenn wir ein Haus bauen, und uns dafür vier Architekten zu Verfügung stehen, aber kein Maurer und kein Dachdecker mehr, die die Planungen umsetzen, dann werden wir schmerzlich merken: Zu viele „Studierte“ bei gleichzeitig zu wenigen Lehrlingen – das kann es nicht sein.

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