Deutschland hat sieben Großbaustellen – An die Arbeit GroKo!
Keine Frage: Deutschland geht es
glänzend. Nahezu Vollbeschäftigung, aktuell sehr vorzeigbare Lohnabschlüsse und
in vielen Branchen randvolle Auftragsbücher, die signalisieren: Wir bleiben
noch eine ganze Weile auf Wachstumskurs. Meiner Einschätzung nach aber nicht so
lange, wie es nötig wäre, um die reichlich teuren Pläne der GroKo für die
nächsten vier Jahre finanzieren zu können, auch wenn es heute rundum noch ganz
gut aussieht.
Damit jedoch alles gut bleibt,
damit die Menschen hierzulande in Arbeit bleiben, damit die Unternehmen
weiterhin gut verdienen und damit dadurch alles finanziert werden und auch die
„schwarze Null“ Bestand haben kann, muss die GroKo nach Auffassung vieler
Experten ran an die Arbeit und sich sieben – „innerdeutschen“ - Baustellen mit Mut,
Kraft und Energie zuwenden; sie darf sich nicht in der „Wohlstandsfalle“
ausruhen!
Die erste Baustelle machen die
Zukunftsbranchen aus, in denen Deutschland zu wenig präsent ist. Gleich mehrere
große Beratungsunternehmen, darunter Ernst & Young, PwC und Boston
Consulting warnen vor der Übermacht der amerikanischen Technologiekonzerne:
„Die US-Tech- und IT-Konzerne stellen den Großteil der weltweit
forschungsintensivsten Unternehmen und bauen damit ihre Vormachtstellung bei
allen Innovationsthemen wie autonomes Fahren, Batterietechnik oder auch KI,
künstliche Intelligenz, aus“. Um künftig mit den USA und China mithalten zu
können, muss die GroKo die Voraussetzungen dafür schaffen, dass disruptive
Start-ups auch in Deutschland schneller als bisher zu namhaften Großunternehmen
heranwachsen können.
Zuletzt gelungen ist dies SAP –
gegründet vor bald 46 Jahren…..
Die zweite Baustelle ist eine „alte
Bekannte“: Es gibt vergleichsweise zu wenig Risikokapital für die deutschen
Gründer. Hier die Vergleichszahlen: 2017 standen den Gründern in Deutschland
4,3 Milliarden € an Venture Capital zur Verfügung. In den USA
summierten sich die Investments
der Wagniskapitalfinanzierer allein im vierten Quartal 2017 auf mehr als 23
Milliarden Dollar, in China und Indien waren es jeweils knapp 15 Milliarden. So
falsch wie die Aussage ist, dass Geld keine Tore schießt, so falsch ist die
Aussage, für Gründungen spiele Geld keine Rolle; siehe Sillicon Valley oder
auch zunehmend Israel. Hoffnungsschimmer für Deutschland: Die KfW soll jetzt richtig
Geld für Gründer in die Hand nehmen; wir sind gespannt…..
Dritte Baustelle: Die (sehr
guten) Ergebnisse deutscher Grundlagenforschung kommen zu selten / zu langsam
„auf den Markt“. Wir haben zwar sogenannte „Exzellenzuniversitäten“, aber kein
Stanford, also eine Uni mit globaler Strahlkraft, „deren Ausgründungen“, so die
Experten, die die Bundesregierung beraten, „das Potential dazu haben, zu neuen
Konzernen heranzuwachsen“, die das eben Erforschte dann auch rasch „in den
Markt bringen“.
Auch nicht gerade neu ist die
vierte Baustelle: Unser Fachkräftepool schwindet kontinuierlich: Während in
Deutschland nur 23 Prozent der Bürger jünger als 25 Jahre sind, liegt der
Anteil in China bei 30, in den USA sogar bei 33 Prozent. Folge: Im Januar
meldeten 29 Prozent der Unternehmen aus unserer Schlüsselbranche Metall und
Elektro „Produktionsbehinderungen wegen fehlender Arbeitskräfte – ein trauriger
neuer Rekordwert“. In der jüngsten Konjunkturumfrage des DIHK nannten sechs von
zehn Unternehmen Personalmangel als „größtes Geschäftsrisiko“; eine
Wachstumsbremse ersten Ranges. Vor fast zehn Jahren hatte Kanzlerin Merkel die
„Bildungsrepublik“ ausgerufen; geschehen ist wenig: Noch immer verlassen
jährlich ca. 50 000 Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss. Und
natürlich gilt hinsichtlich des Fachkräftemangels nach wie vor: Ein echtes
Zuwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild könnte unserem leidenden
Fachkräftearbeitsmarkt helfen!
Als fünfte Baustelle nenne ich
die mangelhafte digitale Infrastruktur. Enttäuschend und nicht nachvollziehbar
ist hier, dass der Koalitionsvertrag vorsieht, diese für die
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Grunde jetzt schon nicht mehr akzeptable
Lücke erst bis 2025 zu schließen; eine dadurch gewissermaßen noch auf Jahre zu beklagende
„Dauerbaustelle“.
Auch auf eine zukunftssichere
Sozialpolitik wartet man mit diesem Koalitionsvertrag vergebens: Auch die
sechste Baustelle bleibt damit eine, die von späteren Regierungen abgearbeitet
und aufgeräumt werden muss; wenn es bis dahin nicht schon zu spät sein wird!
Bei der Sicherung des Lebensstandards im Alter rangiert Deutschland auf einem
der hinteren Plätze im OECD-Vergleich. Konkret: Im Durchschnitt ersetzt die
Altersversorgung nach dem jüngsten OECD-Vergleich in Deutschland nur 51 Prozent
des letzten Nettolohns; im OECD-Durchschnitt sind es 63 Prozent! Hinzu kommt
eine weitere Schwäche der deutschen Rentenversicherung: Sie orientiert sich
nahezu ausschließlich am abhängigen Beschäftigungsverhältnis, was zunehmend
unzeitgemäß, ja geradezu „altmodisch“ ist, da in Zukunft durch die
Digitalisierung viele Menschen nicht mehr in traditionellen
Arbeitsverhältnissen beschäftigt sein werden. Not tut eine
„Erwerbstätigenversicherung“ zur Verhinderung drohender Altersarmut. Immerhin
plant die GroKo eine Vorsorgepflicht für Selbständige. Aber bis das wirkt, das
dauert.
Die siebte Baustelle hat mit der
deutschen Mentalität zu tun: Es fehlt der Glaube an ein „besseres Morgen“, es
mangelt an Zukunftszuversicht, schlicht an dem Mut, sich wie zu Kanzler
Schröders Zeiten „noch einmal neu zu erfinden“. Ein „Redakteuren-Kollektiv“
schrieb dazu im Handelsblatt vom 10. Februar 2018: „Nun, 15 Jahre später, ist
der Muff zurück, und die große Frage lautet, ob Deutschland ähnlich wie um die
Jahrtausendwende noch einmal die Kraft
besitzt, sich neu zu erfinden“. Es fehlt ein/e Mutmacher/in!
Ein großer Schritt auf diesem
Weg wäre es schon, wenn sich die GroKo an die Arbeit machte und dabei z. B.
auch einen Vorschlag von Emmanuel Macron aufgriffe, der die Gründung einer
deutsch-französischen Innovationsagentur vorschlug. Warum denn nicht – auch -
mit einem „guten Nachbarn“ zusammenarbeiten, wenn es um das Anpacken von
„innerdeutschen“ Baustellen geht?
© Dr. Walter Döring
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