2017 - Das zweite deutsche Wirtschaftswunder
Am 10. Juni 2017 titelte das Magazin FOCUS: „Das zweite
Wirtschaftswunder“ und lag richtig damit. Seit den Zeiten des legendären
Bundeswirtschaftsministers Ludwig Erhard, der für das erste deutsche
Wirtschaftswunder in den 1960er Jahren verantwortlich zeichnete, hatte es
solche nachhaltig positiven Nachrichten nicht mehr gegeben:
Noch nie zuvor gab es so viele sozialversicherungspflichtige
Beschäftigte - 32 Millionen - , noch nie zuvor arbeiteten in Deutschland 44
Millionen Menschen, noch nie zuvor hatte die Welt so viele Waren, Güter und
Dienstleistungen aus Deutschland geordert - Wert: 1,2 Billionen Euro - und auch
noch niemals zuvor waren die Deutschen, lange als „Angstsparer“ verspottet, so
konsumfreudig wie 2017: Sie gaben für Waren und Dienstleistungen 1,7 Billionen
Euro aus. Hinzu kam: Der Börsenindex Dax kletterte auf ein Allzeithoch knapp
unter der 13 000er-Marke.
Die Hartz-Reformen, die Agenda 2010, die lange andauernde
Niedrig-Zins-Politik der Europäischen Zentralbank EZB, die einzigartige
mittelständische Struktur der deutschen Unternehmen mit der großen Zahl an
Eigentümer- bzw. Familienunternehmen sowie der weltweit gestiegene Bedarf an
hochwertigen Maschinen und Fahrzeugen führten zusammengenommen zu fortgesetztem
Jobaufbau, damit einhergehend zu wachsenden Einkommen und riesigen Unternehmensgewinnen
und alles zusammen hatte „eine Selbstverstärkung des Aufschwungs“ zur Folge.
Dieser spiegelte sich auch im „BIP pro Kopf“ wider: Mit
knapp 40 000 Euro lag Deutschland weit vor Frankreich mit etwa 35 000 Euro und
„meilenweit“ vor dem EU-Durchschnitt mit etwas über 30 500 Euro.
In weiten Teilen Deutschlands, vor allem im Südwesten,
herrscht aktuell, im Sommer 2017, praktisch Vollbeschäftigung.
Jugendarbeitslosigkeit kennt man hierzulande nur noch vom hören sagen aus
anderen Ländern, überwiegend aus dem Süden Europas, und so verwundert es nicht,
dass im ersten Halbjahr 2017 mehr als 80 Prozent der Deutschen ihre eigene
wirtschaftliche Situation als „gut bis sehr gut“ einschätzten.
„Made in Germany“ war nach dem „Nation Brands Index“ der
beliebteste Absender auf Produkten, vor den USA und Japan. Ein heftig
kritisiertes Resultat hieraus war ein gewaltiger Exportüberschuss von 253
Milliarden Euro, der sowohl bei den europäischen Nachbarn, als auch in den USA
auf massive Kritik traf. US-Präsident Donald Trump sprach von einem „bad, very
bad Germany“, und der britische Economist, der fast zwanzig Jahre zuvor
Deutschland noch als den „kranken Mann Europas“ bezeichnet und für seine
Reformunwilligkeit auf das heftigste kritisiert hatte, klagte im Juni 2017, die
deutsche Export-Stärke „beschädigt die Weltwirtschaft“. Und selbst der
Internationale Währungsfonds oder auch die OECD haben sich auf Berlin geradezu
„eingeschossen“: Die Deutschen sollen endlich mit umfangreichen
Investitionsprogrammen und höheren Löhnen sowie einer größeren
Haftungsübernahme im Euro-Raum die Weltkonjunktur ankurbeln. Knapp
zusammengefasst: Wir sollen mehr Geld ausgeben; zu unserem eigenen Nutzen und
„zum Wohle der Weltgemeinschaft, tönt es von allen Seiten“.
Wir sollten selbstbewusst dagegenhalten: Deutschlands
enormer Handelsüberschuss zeugt von höchster Konkurrenzfähigkeit, die auf
Innovationskraft, Fleiß und Mut zur Internationalisierung sowie ein gutes
duales Ausbildungssystem zurückzuführen ist; nichts jedenfalls, wofür wir uns
entschuldigen müssten!
Als weitere Gründe für Deutschlands zweites
Wirtschaftswunder nannte Jens Weidmann, Präsident der Bundesbank: „Die Agenda
2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der starke Mittelstand und die hohe
Innovationskraft deutscher Ingenieurskunst“. Michael Hüther vom Institut der
deutschen Wirtschaft führte die „kompromissorientierte Konfliktlösung in der
Tarifautonomie „ an, während Bert Rürup, ehemaliger Wirtschaftsweiser, das
„massiv ausgeweitete Kurzarbeitergeld und großkalibrige Konjunkturprogramme“
als Gründe dafür angab, dass Deutschland 2017 ein zweites Wirtschaftswunder
erleben konnte. Die Chefin der HSBC-Bank, Carola von Schmettow, fasste alle
Gründe zusammen: „Die Stärke Deutschlands sind die mittelständischen
Unternehmen, die vielen unbekannten Weltmarktführer. Hinzu kommt das duale
Bildungssystem, das hochqualifizierte und spezialisierte Arbeitskräfte
hervorbringt. Dann die Agenda 2010, die den Arbeitsmarkt flexibilisiert und die
Wettbewerbsfähigkeit verbessert hat“.
Erfreulich ist bei all dem, dass zumindest für dieses und
auch das nächste Jahr nach der Erwartungen der Wirtschaftsweisen keine
gravierende Veränderung zu befürchten ist. Erfreuen wir uns also an dem
„zweiten deutschen Wirtschaftswunder“, das umso länger hält, je länger wir
weder bei den Innovationen noch bei den Bildungsanstrengungen nachlassen.
Und natürlich müssen wir auch aktiv werden, wenn es um die
notwendige Verbesserung der Rahmenbedingungen geht: Eine wachstumsfreundliche
Agenda muss immer auf der Tagesordnung stehen; egal, wer nach den
Bundestagswahlen die Bundesregierung bildet: Steuerentlastungen für Forschung
und Entwicklung, Startup-Förderung, flexiblere Arbeitszeitregulierungen, die
angesichts der Digitalisierung der Arbeitswelt unabdingbar sind sowie
kontinuierliche Verbesserungen der Bildungschancen aller Bürgerinnen und Bürger
bleiben notwendig, wenn das zweite deutsche Wirtschaftswunder noch lange
anhalten soll.
© Dr. Walter Döring